Mareks Utopien

Ist Christine Marek der letzte links-linke Gutmensch oder die erste utopische Sozialistin in den Reihen der ÖVP? Ihre neueste Idee hat das Potenzial in die Geschichte einzugehen.

Staatssekretärin Christine Marek fordert am 14.09.2009 „Gemeinschaftsarbeit für Langzeitarbeitslose“. In der ZIB 2 vom selben Tag erklärt sie diese Forderung mit ihrem politischen Verständnis: „Arbeit ist ein Menschenrecht“. Am 15.9. definiert sie den Begriff der „Langzeitarbeitslosigkeit“ neu: Sie meint nämlich jene Personen, die 6 Monate und länger arbeitssuchend gemeldet sind.

Frau Marek verdient es, gewürdigt zu werden: Die Staatssekretärin gehört der ÖVP an, ist jetzt im Wirtschaftsministerium angesiedelt und hat einen Großteil ihrer politische Karriere in der Arbeiterkammer Wien verbracht. Die ÖVP wiederum ist in Bünden organisiert (Arbeiter- und Angestelltenbund, Bauernbund, Wirtschaftsbund, usw.), gemeinsam eint sie die Verwurzelung in einem christlich-konservativen Weltbild. Aufrechte Konservative verstehen sich immer wieder auch als Speerspitze der Revolution; nicht nur dann, wenn es um die Frage geht: „was ist erhaltenswert“ sondern darüber hinaus auch der Forderung genüge getan wird: „Konservativ ist, Dinge zu erschaffen, die zu erhalten sich lohnt.“

Für ihren mutigen Einsatz um die Einhaltung der Menschenrechte muss ihr gratuliert werden. Artikel 23 der UN-Menschenrechtscharta postuliert ja, ein jeder Mensch habe das Recht auf Arbeit. Alle ergänzenden Kommentare erklären diese Forderung dahingehend, dass sich daraus keine Forderung der Menschen auf einen Arbeitsplatz ableiten lasse, sondern vielmehr das Recht eines jeden Menschen angesprochen wird, sich eine ihm passende Arbeit zu suchen. Wenn man nun aber weiß, dass es in der westlichen Welt spätestens seit den 1970er-Jahren keinen Vollbeschäftigung mehr gibt, sondern die Gesellschaften mit einer „Sockelarbeitslosigkeit“ leben „müssen“, so fordert sie gemäß ihrer politischen Überzeugung nichts anderes, als die Errichtung eines Werts, den zu erhalten sich lohnen kann: Vollbeschäftigung!

Und in der Wahl ihrer Mittel ist sie nicht zimperlich, geradezu revolutionär. Sie will nicht geringeres als den Kapitalismus zum Einsturz bringen. Anders aber als die von den Konservativen oft belächelten links-linken Gutmenschen hat sie  einen echt guten Plan:
Die von Langzeitarbeitslosigkeit bedrohten Menschen sollen wichtige und wertvolle Arbeit für das Gemeinwohl erbringen; sie sollen für Gemeinden und NGOs arbeiten. Mit dieser Konkretisierung beweist sie auch noch politische Urteils- und Handlungsfähigkeit. Sowohl Gemeinden als auch NGOs stehen, sofern sie mit öffentlichen Geldern finanziert werden, unter dem direkten Einfluss der Politik. Wo, wenn nicht hier, kann sich die Politik sicher sein, dass sie Gestaltungsmacht hat?

Das Arbeitsmarktservice Österreich weist für Ende August 2010 knapp 32.000 Personen aus, die länger als 12 Monate arbeitssuchend gemeldet sind. Diese Summe kann man getrost verdoppeln, wenn man bereits jene dazu zählt, die länger als 6 Monate arbeitssuchend gemeldet sind. Weist man nun diese 70.000 Menschen den 4.000 Gemeinden in Österreich zu, so kommen auf jede Gemeinde rund 17 Personen.  Mit Frau Mareks Idee brauchen die Gemeinden a la lounge keine teuren Fremdfirmen mehr beschäftigen und können auch ihre GemeindearbeiterInnen freistellen. Mit ein bisschen Glück bekommen sie diese nach 6 Monaten wieder zurückgestellt, dann aber zum Tarif der Mindestsicherung, der dann nicht einmal mehr aus dem klammen Gemeindebudget getragen werden muss, sondern vom Sozialministerium.

Ganz abgesehen davon, dass die dem Arbeiter- und Angestelltenbund zurechenbare Politikerin mit dieser Idee nicht nur ihrem „Stall“ dient sondern ganz nebenbei auch dem Bauernbund, taugt diese Idee dazu, eine echte soziale Revolution zu bewirken. Man muss diese Idee nur weiter denken: Mit 70.000 Menschen kann man ungefähr 60.000 Arbeitsplätze in der freien Wirtschaft oder/und in den Gemeinden ersetzen (diese Rechnung greift Mareks Forderung auf, dass die so in Beschäftigung stehenden Personen einen Jobcoach an die Seite gestellt bekommen sollen. Dessen Wirken bindet natürlich Arbeitszeit). Diese wiederum stehen für ihr zahlenmäßiges Äquivalent für gesellschaftliche Arbeit zur Verfügung, und so fort.

Zu bedauern ist allerdings, dass die Staatssekretärin in ihrer Forderung halbherzig bleibt. Es gibt zwei weitere Gruppen von Menschen, denen ihr „Menschenrecht auf Arbeit“ vorenthalten wird. Zum einen die große Gruppe von Menschen, die mit fadenscheinigen Gründen in „den Ruhestand“ entsandt wurden. Man kann getrost davon ausgehen, wer zu Hause einen Besen halten kann, sollte ihn auch anderswo halten können. Wer zu Hause schwerwiegende Probleme lösen kann, sollte es auch für das Gemeindewohl können. Konservativ geschätzt kann man davon ausgehen, dass rund 500.000 PensionistInnen unter 75 nur sehr ungern auf ihre Menschenrecht auf Arbeit verzichten wollen.

Die andere Gruppe ist zugegebener Maßen deutlich kleiner als die erste, aber dieser werden noch weitere Menschenrechte vorenthalten. Konkret meine ich hier die AsylwerberInnen, die Artikel 13, 14 und 15 der Menschenrechtscharta garantieren allen Menschen das Recht anderswo um Asyl anzusuchen, sich innerhalb eines Staates frei zu bewegen und – nichts geringeres als – eine Staatsbürgerschaft! Die letzte Gruppe umfasst zwar nur rund 7.000 Personen pro Jahr, aber die KollegInnen der Staatssekretärin meinen, sie müssten sich gegen diese arbeitswilligen Personen stemmen.

Will sich die Frau Staatssekretärin also einen Namen machen, der weit über die kommende Wahl hinaus Freude in der Bevölkerung auslöst, dann könnte sie sich zum einen  einen Namen in Sachen „moralische Instanz“ und „Wahrerin der Menschenrechte“ machen; will sie für die nächsten zwei- bis dreihundert Jahre in die Geschichtsbücher eingehen, dann sollte sie dringend das Menschenrecht auf Arbeit für alle arbeitsfähigen Personen durchsetzen. Dass sie hier so nebenbei den Kapitalismus aus den Angeln hebt, ist nur recht und billig. Weder gibt es ein christliches Gebot zum Gewinn noch einen Konservativen von Rang, der meint, der Kapitalismus sei per se erhaltenswert.