Eine Frage, die man mir und die ich mir immer wieder stelle, lautet: Was dürfen sich KlientInnen / KundInnen / PatientInnen bei mir erwarten? Die Antwort darauf fällt mir so gut wie nie leicht. Zum Einen gibt es die gut überlegten und lange abgehangenen Forderungen. Etwa: In der direkten Begegnung den vertrauensvollen Umgang mit den Inhalten; den Respekt vor der Einzigartigkeit des Gegenübers; die Wertschätzung vor deren/dessen Lösungskompetenz;
die Achtung der Wünsche und Erwartungen an die Therapie oder den Beratungsprozess, usw. Zum Anderen gibt das handwerkliche Können, das oft genug dem Anspruch entgegensteht: Was nutzen der Respekt vor der Einzigartigkeit und die Achtung der Wünsche des Gegenübers, wenn schlicht die Fähigkeit fehlt, den konkreten Wunsch meiner Patientin / meines Patienten zu erfüllen: „Machen Sie mich bitte in dieser Stunde noch gesund!“, oder: „Machen Sie, dass das weggeht“ …
Am konkreten Beispiel verlieren sich die Allgemeinplätze in ihrer Beliebigkeit. Und trotzdem haben die genannten Ansprüche ihre Berechtigung: Achtung, Wertschätzung, Respekt und Zutrauen gehören in ihren mannigfaltigen Interpretations- und Bedeutungszusammenhängen zum Grundverständnis einer jeden psychotherapeutischen Schule: Von der Psychoanalyse bis hin zur provokativen Therapie.
Wer will schon „krank“ sein? Wer will schon „leiden“? Selbstverständlich kann man nach dem „sekundären“ Krankheitsgewinn fragen, genau so wie man nach dem Guten im Bösen fragen kann: „Was haben Sie davon, dass Sie krank sind?“ Therapeutisch ist es allemal erhellend, nach den Mustern der Leidensgeschichte zu fragen. Zweifellos kann man die Interpretation der Antworten, gesammelt und aufbereitet, den nachfolgenden Patientinnen und Patienten wieder zur Verfügung stellen. Ganz nebenbei befriedigt diese Suche die eigene Neugierde. Trotzdem kann man sich nicht des Eindrucks erwehren, dass in diesem Prozess der Respekt vor den Wünschen der Klientin / des Klienten eine untergeordnete Rolle spielt. Steht die eigene Neugierde – oder gar die als Neugierde getarnte „Unfähigkeit“ – vor den berechtigten Interessen des Gegenübers?
In meiner therapeutischen Sozialisation bin ich von einem analytischen Zugang zum Psychodrama geprägt worden. Mein erster Kontakt mit dieser Fachrichtung erfolgte mit einem Psychoanalytiker, der gelegentlich auch Psychodramagruppen anbot. Die Worte waren wichtig; die Gesten; das Innehalten und Reflektieren. Meine Eigentherapie absolvierte ich bei einem Psychoanalytiker. Hier habe ich den schönen Satz und Buchtitel „die leiste Stimme der Psychoanalyse ist beharrlich“ kennen- und schätzen gelernt. Eine ganz andere Erfahrung habe ich in den Ausbildungsgruppen selbst gemacht. Diese haben eher den spielerischen Zugang zum Fach propagiert und der Therapie das „sakrale“ genommen.
Lange Jahre habe ich mich im Spannungsfeld der spielerischen Leichtigkeit aus der Ausbildungszeit und dem Tragend-Vorsichtig-Sein aus der Eigentherapie bewegt. Gelegentlich war ich mit meiner Ausbildung unzufrieden, weil ich ihr das Fehlen des Vorsichtigen, Beharrlichen und Nachhaltigen der Psychoanalyse vorgeworfen habe. Außerdem hatte meine therapeutische Arbeit sehr wenig mit dem Erleben aus der Eigentherapie gemein. Konnte so eine Arbeit trotzdem gut sein? Verschmitzt, provokant, theatralisch, gelegentlich oberflächlich oder tiefgründig, immer öfter unterbrochen von herzhaftem Lachen, gelegentlichen Plauderstunden, schweißtreibenden Rollenspielen und einer Settingzeit von 50 Minuten, die ich immer öfter überzog.
Heute habe ich mich endgültig von dem analytischen Anspruch an die Therapie verabschiedet. Zwar lese ich immer noch die psychoanalytischen AutorInnen lieber als die VertreterInnen anderer Schulen. Denn ich bin davon überzeugt, dass das psychoanalytische Denk- und Krankheitsmodell am weitesten entwickelt ist und sehr nachvollziehbare Erklärungsmodelle für eine Vielzahl von Störungen liefert. Genau so bin ich davon überzeugt, dass PatientInnen, die mich aufsuchen, eher an schnellen und guten Lösungen interessiert sind. Anleihen nehme ich mir bei anderen Therapieschulen, allen voran der systemischen sowie der Hypnotherapie und deren Symbiose, der hypno-systemischen Therapie. Jede dieser Schulen leistet ihren Beitrag zur Lösungsfokusierung. Weiters habe ich mein Setting verändert. Statt 50 Minuten arbeite ich jetzt überwiegend 100 Minuten. Dafür in größeren Zeitintervallen. Seitdem ich mich immer öfter darauf verlasse, dass mein Gegenüber selbst Verantwortung für die Wahl der Themen und den Grad der Intensität deren Bearbeitung übernehmen kann, haben sich die Verweilzeiten in der Therapie deutlich verkürzt. War vor fünf Jahren nach eine durchschnittliche PatientIn knapp vier Jahre bei mir in Behandlung, hat sich die Betreuungszeit heute auf rund sechs Monate verkürzt. Gelegentlich sind hilfesuchende Personen schon nach der ersten Einheit mit dem Ergebnis zufrieden und erklären weitere Kontakte für überflüssig. Das freut mich für sie. Genau diese Erfahrung aber hat bei mir zu einer weiteren Veränderung geführt: Neuerdings habe ich das Angebot der kostenlosen Erstberatung eingestellt.